[dropcap size=small]I[/dropcap]n der Literatur sind spezielle Werke anzutreffen, die unter den Experten aufgrund ihres schwierigen Inhaltes als unverfilmbar gelten. Bei Videospielen wird man dies wegen der ohnehin schon stark visuellen Sprache vermutlich sehr selten behaupten, aber dennoch gibt es Titel, die zumindest als „schwierig“ gelten. Ohne Zweifel gehört dazu auch die „Silent Hill“-Serie, die allein schon aufgrund ihres künstlerischen Anspruchs die Gamer polarisiert. Der französische Regisseur Christophe Gans, der sich selbst als großer Fan der Serie bezeichnet, hat die Herausforderung angenommen und sich daran gemacht, die komplexe Welt von „Silent Hill“ auf Zelluloid zu bannen. Eine Komplexität, bei der längst nicht zu erwarten war, dass man sie überhaupt in ein zwei Stunden wiederspiegeln, geschweige denn einem unerfahrenen Publikum näher bringen kann. Für Spieler, die sich bereits in der Welt der Horrorserie verloren haben, liegen vor allem zwei Hürden bei einer Adaption auf der Hand: Zum einen ist dies die komplizierte Darstellung des alptraumhaften Szenarios, in der sich das Geschehen abspielt. Die surrealen, beunruhigen Bilder und Kamerafahrten in einem Film zu adaptieren dürfte alles andere als leicht zu bewältigen sein. Zum anderen ist dies die inhaltliche Komponente, die in den Spielen stehts kryptisch und seltsam poetisch wirkt. Durch die im Medium gegebene Interaktivität gelingt es den Spielen im optimalem Fall zudem den Spieler emotional zu berühren. Für einen Kinofilm, der neben den Fans auch das allgemeinere Publikum ansprechen sollte, muss das Drehbuch jedoch einen äußerst schmalen Grad betreten; irgendwo zwischen rätselhafter Faszination und Nachvollziehbarkeit, sowie einem gehörigen Anteil an Emotionalität. Neuorientierung Die Fallen, in die man mit Leichtigkeit hineintappen könnte, waren Christophe Gans und Drehbuchautor Roger Avary offenbar mehr als bewusst und sie haben den Kompromiss gewählt, die Geschichte des ersten Spiels neu zu interpretieren. Sie führt ausreichend in das umfangreiche Szenario ein, ist aber dennoch keine stupide Nacherzählung der Spielhandlung: Rose und Chris Da Silvas gemeinsame Adpotivtochter Sharon schlafwandelt nachts und bringt sich dabei nicht selten unbeabsichtigt in lebensgefährliche Situationen. Dass sie dabei den Ortsnamen Silent Hill ständig vor sich hinmurmelt, hat sie ebenso wie den Rest am nächsten Morgen komplett vergessen. Da keine Therapie diese Erinnerung wieder holen kann und es auch sonst kein Mittel gegen den Schlafwandel zu geben scheint, entschließt sich Rose mit Sharon zu der Stadt zu fahren, also quasi Feuer mit Feuer zu bekämpfen. Dies tut sie ohne das Einverständnis von Chris, der ihr hinterherfährt, weil er Schlimmes ahnt. Chris behält recht: Auf der Fahrt nach Silent Hill wird Rose von der Polizistin Cybil verfolgt, die Verdacht schöpft, dass irgendetwas zwischen Mutter und Tochter nicht stimmt. Beide erleiden einen Autounfall, bei dem Sharon spurlos verschwindet. Die Frauen finden sich danach in einer höchst ungewöhnlichen Version von Silent Hill wieder, in der statt Zufahrtsstraßen tiefe Abgründe zu finden sind, Asche vom Himmel regnet und ungeheuer dichter Nebel die Sicht blockiert. Da Silent Hill allgemein als verlassene Geisterstadt bekannt ist, ist es weniger verwunderlich, dass dort keine Menschenseele anzutreffen ist. Als jedoch plötzlich Sirenen erklingen und es stockfinster wird, müssen die beiden Protagonistinnen erkennen, dass furchtbare Mächte am Werk sind. Die Silent Hill-Spieleserie hat trotz eines übergeordneten, einheitlichem Horrorszenarios in jeder der vier Episoden einen eigenen Stil. Der zweite Teil nahm sich den klassichen Arche-Plot als Konzept und garnierte seine erschütternde Geschichte mit einer visuellen Sprache, den den Filmen von David Lynch sehr nahe standen. Der darauf folgende Teil war stark religiös, während Part vier eher kafkaesk anmutete. Die ursprüngliche Originalepisode der Horrorserie hatte jedoch trotz des deutlich alptraumgleichen Szenarios leicht märchenhafte Ansätze und driftete bei einigen Elementen in das Fantasy-Genre ab. Christophe Gans hat mit seiner Verfilmung nun eine Entscheidung getroffen, die vielen Fans sicher nicht gefallen wird: Er hat sich dazu entschlossen, die Märchenkomponente aufzugreifen und weiter auszubauen. Es müssen keine plötzlich auftauchenden weissen Kaninchen befürchtet werden, jedoch sollte der Zuschauer damit rechnen, dass die Progagonisten eine Art Odyssee durch eine fremde Welt hinter sich bringen. Dies ist der erste Punkt, an dem sich Kenner der Spielvorlage stören könnten. Der zweite ist: Bei dieser Verfilmung handelt es sich um eine Art Neuinterpretation des ersten Spiels. Einige Kernelemente wurden übernommen und im großen und ganzen erinnert es zumindest zu Beginn an Harry Masons Suche nach Sharon. Spätestens irgendwo ab der Hälfte des Filmes gibt es eine Art Zäsur und es wird klar, dass der Film eigentlich nichts mit der Handlung der Spiele zu tun hat. Es werden verschiedene Elemente aus allen Spielen eingebaut – eine Geschichte, die zwar ins Silent Hill-Universum passt, aber nicht parallel zu den Spielen verläuft. Es gilt also, den Film storytechnisch deutlich von seinen Vorlagen zu trennen. Für unwissende Zuschauer ist die vorangegangene Information freilich unwichtig. Hat aber der Kenner der Serie diese Punkte akzeptiert, ist er möglichweise am besten auf die Film vorbereitet und kann die vielen Pluspunkte des Filmes geniessen. Fallen überlistet Nun, eigentlich ist fast der gesamte Film ein einziger, überdimensionaler Pluspunkt, da er ohne weiteres die zu Beginn dieses Artikels angesprochenen Schwierigkeiten fast komplett bewältigt. Dies gilt vor allem für die Optik bzw. hervorragende technische Umsetzung des Filmes, welche sich insbesondere beim Setdesign und der Kameraführung bemerkbar macht. Was immer im Film gezeigt wird: Es scheint direkt aus dem Universum der Vorlage entsprungen zu sein. Was vorher nur als Polygongrafik bekannt war, wird nun auf Zelluloid zu einer plastischen Scheinwirklichkeit. Alle Details wurden übernommen: Von der düsteren Farbwahl, den zerfallenen Kulissen, der rostigen Alternativwelt bis hin zu dem dichten Nebel und den Sirenen wurde so gut wie alles (mit Ausnahme des Radios) in den Film originalgetreu eingebaut. Stehts behält sich der Film bei der Optik einen surreal wirkenden Charakter bei, wobei bemerkenswert ist, dass es nur sehr, sehr wenige negative CGI-Auffälligkeiten gibt. Durch seine hervorragende audiovisuelle Aufmachung löst der Film das über Jahre hinweg gegebene Versprechen des Kinos ein und zaubert wahrlich atemberaubende Momente auf die Leinwand. Wenn die Sirenen ertönen und die gesamte Szenerie dabei mit einem Tonabfall bis in den untersten Bassbereich in komplette Finsternis getaucht wird, muss dem Publikum geradezu das Herz stehenbleiben. Auch sonst ist die Chance groß, dass der geneigte Zuschauer die gezeigten Horrormomente als eine der packensten und itensivsten Momente empfinden wird, die er je in einem derartigem Film sehen durfte. Selbst aus intersubjektiver Sicht ist Silent Hill in vielen Sequenzen so unanfechtbar brilliant in Szene gesetzt, dass es neue Maßstäbe für kommende Filme seines Genres setzt. Um Enttäuschungen vorzubeugen sei aber erwähnt, dass der Film keinesfalls die blutigsten und widerlichsten Sequenzen zeigt, sondern es ist die Rede von intensiven oder packenden Bildern, die künstlerischen Anspruch besitzen. break the silence Es ist erstaunlich, dass der Film sehr selten mit subjektiven Kameraeinstellungen arbeitet, sondern in den meisten Fällen sogar visuell distanziert bleibt, was sich paradoxerweise nicht nachteilig, sondern eher positiv auf die Wirkung beim Zuschauer bemerkbar macht. Überhaupt bricht der Film mit Mainstream-Sehgewohnheiten. Die Exposition ist ungewöhnlich kurz und überlässt die Charakterisierung und Erklärung der Hintergründe der Hauptfiguren dem weiteren Fortlauf des Filmes. Christophe Gans hält sich nicht lange mit einer Vorgeschichte auf, sondern steigt fast direkt kompromisslos in die Haupthandlung ein. Während des gesamten Filmes bleiden die Dialoge auch eher rudimentär. Gerade in den ersten zwei Dritteln wird oft nur das Nötigste gesagt. Ausschweifungen sind also in keiner Form vorhanden, obwohl der Film eine eher gemächliche Erzählweise hat. Er verbringt glücklicherweise sehr viel Zeit damit, Atmosphäre aufkommen zu lassen. Die akustische Gestaltung von Silent Hill ist ebenfalls sehr beeindruckend, da besonders darauf geachtet wurde, dass die Musik genau zu den gezeigten Bildern passt. Verwendet wurde im Grunde eine bunte Mischung aus dem Originalsoundtrack von Akira Yamaoka, der für das Kino neu abgemischt wurde. Selbstverständlich ist das für die Verfilmung atmosphärisch gesehen sehr von Vorteil, jedoch wäre ein eigener, neuer Soundtrack im selben Stil wünschenswert gewesen. Zuschauer, denen Silent Hill vorher fremd war, wird dieser Kritikpunkt nicht in den Sinn kommen, aber Kenner der Serie werden mit einigen Stücken völlig andere Szenen aus den Spielen assoziieren, anstatt sie direkt den Elementen der Filmhandlung zuzuschreiben. Trotzdem ist der Einsatz des Originalsoundtracks lobenswert, da er im Einklang mit dem Quellmaterial steht. Ebenso wie die Musik ist übrigens auch die Gestaltung der Geräusche hervorragend. Leider wurden jedoch zwei Stärken der Spiele nicht mit eingebracht. Zum einem gibt es nur sehr wenige Augenblicke, in denen tatsächlich totale Stille herrscht. Gans verwendet solche Sequenzen durchaus, und sie sind gerade angesichts der in Nebel oder Dunkelheit getauchten Bilder sehr effektiv, doch wäre ein etwas stärkerer Einsatz gerade im Vergleich mit den Vorlagen wünschenswert und mehr als passend gewesen. Zum anderen findet das aus den Spielen bekannte Radio keinen Einsatz im Film. Zwar zeigen Mobiltelefon und Polizeifunk ähnliche Effekte, jedoch sind diese keinesfalls mit dem nervenaufreibenden Original vergleichbar. keine Fragen Es scheint nicht eine einzige Einstellung zu geben, die planlos, aus einer Not heraus gefilmt worden ist. Jede Szene folgt einem Zweck, jeder Schnitt passt penibel genau. Es wäre schwer aus der vorliegenden Schnittfassung noch zusätzlich etwas herauszukürzen, da wirklich alles streng miteinander verwoben ist. Trotzdem hätte dem Film im letztem Drittel ein etwas stringenteres Storykonzept gut zu Gesicht gestanden. Bisweilen erklärt sich der Film in einer längeren Sequenz fast tot und lässt eines der großen Besonderheiten der Silent Hill-Serie völlig außer acht: Jedes Spiel endet mit offenen Fragen und hinterlässt dem Spieler viel Raum zur eigenen Interpretation der Geschichte. Der Film verpasst diese Gelegenheit leider und präsentiert dem Publikum die Erklärung quasi auf dem Silbertablett. Das soll nicht bedeuten, dass das letzte Drittel und der Schlussteil misslungen wären; sie passen hervorragend zu dem eingangs erwähnten Märchenkonzept und gerade der Schluss ist herrlich Silent Hill-typisch. Auch die zu erwartenden Methaphern sind durchaus vorhanden. Jedoch kann man sich nicht des Eindrucks erwehren der gesamten Denkarbeit entledigt worden zu sein. Was bleibt abschließend zu sagen? Paradoxerweise werden ausgerechnet die Fans der Spieleserie die größten Schwierigkeiten mit der Verfilmung haben. Trotzdem bleibt Silent Hill ein besonderer Film, der nicht nur aus dem Einerlei des Horrorgenres herausticht, sondern auch die bis dato gelungenste Videospielverfilmung darstellt – auch wenn er die Erwartung vieler Zuschauer höchstwahrscheinlich nicht erfüllen wird. Silent HillSehr gelungene Interpretation der Silent Hill-Serie mit einer sehr beeindruckenden Gestaltung und technischen Umsetzung. Nur das Drehbuch weist einige Schwächen auf.2007-02-158GesamtwertungLeserwertung: (0 Votes)0.0